2015-07 S Südschweden - Jungfrukusten

Nach zehn Tagen des Suchens bin ich doch noch in Schweden angekommen. Zu Beginn habe ich nach Jahren der Schwedenabstinenz mein ursprüngliches Lieblingsland fasst nicht mehr wiedererkannt.

Weite unberührte Seenlandschaften, wo sind sie geblieben? Jeder noch so kleine Tümpel ist mittlerweile mit Ferienhütten zugewuchert, kein noch so kleines Plätzchen zum Wohnen ist zu finden. Naturverbundene Schweden, die sich per Rad, zu Fuß mit Rucksack, per Kajak wasserwandernd die Seen erschließen, wo sind sie geblieben? Kein Ahnung, stattdessen sehe ich PS Monster laut röhrend auf den Seen entlang schießen, im SUV (sport utility vehicle) den Schotter aufwirbelnde, motorisierte „Waldwanderer“ hüllen mich freundlich winkend in eine undurchdringliche, alles verstopfende Staubwolke. Am Abend reicht die obligatorische 1,5 Liter Duschflasche nicht, den in alle Poren eingedrungenen Staub zu entfernen.

Hier muss ich weg, und fahre und fahre immer gen Norden. Es ist heiß, mehr als 30 Grad. Das ist doch nicht Schweden! Anscheinend habe ich mich massiv verfahren. Nein, alle Daten stimmen.

Und da, nach hunderten Kilometern habe ich ihn doch noch gefunden, den einsamen See. Gegen Abend, sicherlich, wahre Wiedersehensfreude ist etwas anderes, ist die Einsamkeit vorbei. Jahrelang haben sie auf mich gewartet und kommen zu Tausenden, um mich zu begrüßen, kein noch so feines Gasegitter kann sie in ihrem Eifer beeinträchtigen. Der Schwarm der kleinen gefräßigen Knotts fliegt komplett durch die Gitter und die Umarmung ist vollkommen. Die nächsten Stunden verbringe ich bei 37 Grad Celsius im geschlossenen Wohnmobil um meine Gäste hinaus zu komplementieren, die Party ist zu Ende. Das sehen die Durstigsten unter ihnen leider anders und es wird spät in dieser Nacht, bis auch die letzten gegangen sind. Aber jetzt weiß ich, ich bin doch in Schweden.


Weiter geht die Reise. Bei den hohen Temperaturen schlage ich mich weiter gen Osten ans Meer, in der Hoffnung etwas Abkühlung zu finden. Ein kleiner Ort Norrsundet, direkt an der Küste gelegen, scheint geeignet, etwas näher entdeckt zu werden.

Schweden Jungfrukustvägen

Es gibt einen Wohnmobilstellplatz und unvoreingenommen fahre ich diesen an, bin dann aber ob der Dreistigkeit doch etwas erstaunt. Eine holperige Wiese im Busch am Eingang zu einem per reichlich frequentiertem, staubigen Schotterweg erreichbaren Hafengelände, ist zum Wohnen der motorisierten Besucher vorgesehen. Waschmaschine, Dusche, Toiletten etc. können per Extrazahlung in einem angrenzenden Gebäude genutzt werden. Der Wiesenparkplatz kostete im letzten Jahr 100 SEK oder 10 EUR, jetzt war der Preis etwas korrigiert, 2015 sind 200 SEK oder 20 EUR zu entrichten. Glatte 100% Preiserhöhung. Da fühlt sich der Reisende nicht “Välkommen!”.


Schweden erstaunt mich schon wieder. Unweit dieser Abzocke entdecke ich einen kleinen zugewucherten, ziemlich verfallenen Althafen mit lange nicht genutzten Anlegern, inmitten lange nicht genutzter Gleisanlagen eines ziemlich ruhigen (wahrscheinlich lange nicht genutzten) Industriekomplexes. Der ideale Wohnort direkt am Meer!

In den nächsten Tagen entdecke ich den Ort und das Hinterland und erkenne das alte Schweden schon wieder nicht. Ein alter Seelenverkäufer rostet munter an einem löchrigen Schwimmponton vor sich hin, zugewucherte Straßen und Wohngebiete, verrostete Straßenlaternen, Verfall und Vergänglichkeit grenzen an das ruhige Industriegebiet. Die Natur arbeitet auf Hochtouren und verleibt sich die Überbleibsel der Wachstumsgesellschaft gierig ein.

Ein paar neugierige Anwohner schauen freundlich grüßend, was es denn mit dem Kastenwagen so auf sich hat, der da schon ein paar Tage an “ihrem” Hafen herum steht. Der Industriekomplex ist eine ehemalige Papierfabrik, ein Konsortium aus Finnen und Schweden, nun aus wirtschaftlichen Gründen dicht gemacht. Viele meiner Besucher haben ihr Leben in den Hallen verbracht, jetzt geht hier nichts mehr. Armut und Arbeitslosigkeit, viele Ausländer, alles lungert herum, ein Rentner meint, jetzt müsse er sogar sein Fahrrad anschließen und das in Schweden!


Einen Ort weiter, in Söderhamn sieht es ebenso aus. Viele alte Industrie- und Gewerbebauten, aber es bewegt sich nicht viel, außer vielleicht in den zahlreichen Supermärkten und den allgegenwärtigen Pizzerien. Das Resultat ist auch deutlich am Umfang, der sich durch die Fußgängerpassage schiebenden Massen anzusehen. Der Ort ist eine ziemlich trostlose Stadt nach amerikanischem Vorbild, rechtwinkelig mit breiten Straßen, riesigen Plätzen aber immerhin einer kleinen Fußgängerpromenade.


Die Halbinsel Hornslandet östlich von Hudiksval soll mich wieder der Natur und der Ruhe ein Stück näher bringen. Leider war dabei der Wunsch der Vater des Gedankens, ohne Rücksicht auf den schwedischen Ferienkalender. Einsame 30 km Straße führen mich von Hudiksval bis an das Ende der Halbinsel, das Örtchen Hölik. Die aufwendige Internet Präsentation der Gemeinde hätte mich eigentlich vorwarnen müssen, trotzdem ist es erstaunlich wie viele der 9,6 Millionen (2013) Einwohner Schwedens sich an diesem Ort versammeln, um die wenigen kleinen Strände, den gewaltigen Campingplatz und die Parkbuchten untereinander aufzuteilen. Sicherlich ist das natürlich gar nichts, im Verhältnis zu saisonalen Gepflogenheiten zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Jeder der schon einmal bei bestem Wetter im Juli versucht hat, an den Warnemünder Strand zu kommen, weiß, wovon ich schreibe. Aber für schwedische Verhältnisse ist hier reichlich Sommertrubel.

Der ganze Ort ist eigentlich ein großer Campingplatz mit ein paar Sommerhäusern, einem Minihafen und zwei Gaststätten mit Preisen, da bleibt einem der Surströmming im Hals stecken, wenn er es bis dahin denn schafft. An anderer Stelle werde ich vielleicht an eigener Person das Experiment wagen und ein Stück dieser “Delikatesse” verspeisen. Ich benötige allerdings noch etwas Bedenkzeit. Stark ausgebeulte Dosen mit dieser gärigen, stinkenden Spezialität haben mich bis jetzt erfolgreich Abstand halten lassen. Hauptgerichte beginnen hier bei 16,- EUR (Omelett), ein Rindersteak 200g kostet aber schon mal um die 30,- EUR! Wohlgemerkt eine Portion, ohne Getränke und ohne Übernachtung.

Aber auch hier ist es wie überall auf der Welt. Eine Parklücke finde ich und wandere in die angrenzende Natur und schon nach wenigen einhundert Metern bin ich alleine und habe für die nächsten Stunden meine Ruhe gefunden. Am äußersten Rand dieses beschaulichen Miteinander finde ich dann tatsächlich noch eine einsame Strandbucht und kann das Sommerwetter und die vielleicht 17 Grad “warme” Ostsee genießen.


Wanderung Hölik

Wanderung Hölick

Weiter nördlich fahre ich die nur mit einem künstlichen Straßenwall verbundene Miniinsel Rönnskär an. Auf dem Inselchen gibt es ganz leckeren, preisgünstigen Fisch beim ansässigen Fischer in der Fischbutik. Das kleine Lädchen ist immer geöffnet, da auf Vertrauensbasis bezahlt wird. Man nimmt sich einfach die portionsweise verpackten, geräucherten oder frischen Fische aus den Kühlschränken, rechnet zusammen und legt das Geld auf den Tisch. Super Idee, funktioniert so aber wahrscheinlich nur in Schweden. Selbst eingelegten Surströmming gibt es auch, ich habe mich aber nicht getraut, das Experiment bei den Riesenpackungen durchzuführen.

Die schwedische Urbevölkerung ist hart im Nehmen. Lufttemperaturen um die 16 Grad, das Wasser 15 Grad. Das scheut hier niemanden den sonntäglichen Ausflug in Minirock und bauchfrei Top die Promenade entlang zu schlendern. Auch noch sehr kleine, kaum des Laufens mächtige blondgelockte Kleinkinder werden da schon einmal zur Belustigung aller Anwesenden, außer der des Kindes, komplett unter lautem Gelächter und Gebrüll in das erfrischende Nass getaucht. Wahrscheinlich können nur so die Kleinsten den auch noch so kalten Winter abgehärtet überstehen. Auch ich lasse mich nicht lumpen und stürze mich mutig für den Bruchteil einer Sekunde in die Kühle.


Sörrfjörden und Galtström

Auch hier findet man zwischen endlosen Ferienhaussiedlungen doch noch ein ruhiges Plätzchen. Bei Galtström gibt es zwei kostenlose, auf Spendenbasis funktionierende Ver- und Entsorgungsstationen, eine sogar mit Dusche. Hier ein paar Bilder zu dieser Region.


Meine Reiseroute

Südschweden - Jungfrukusten